Ein großer deutscher Versicherer hatte uns beauftragt, den Regress wegen eines Gebäudeschadens infolge eines Astbruchs an einem auf dem Nachbargrundstück stehenden Kastanienbaum zu führen. Der Ast fiel bei einem stürmischen Wind (Stärke 8 Bft.) auf das Dach des bei unserer Mandantin versicherten Wohngebäudes. Durch den Astbruch wurden unter anderem Dachziegel, die Regenrinne, der Putz der Gebäudefassade und die Lackierung der Türflügel der Fenster beschädigt.
Unsere Mandantin regulierte den entstandenen Gebäudeschaden. Hierdurch gingen die Ansprüche des Gebäudeeigentümers gegen die Eigentümerin des Nachbargrundstücks auf unsere Mandantin gem. § 86 Abs. 1 VVG über.
Bei derartigen Fallkonstellationen besteht die Möglichkeit des Regresses aufgrund des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs gem. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überschreiten, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen nach § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden.
Wird ein Grundstück durch einen umstürzenden Baum oder durch einen Astbruch beeinträchtigt und kann der betroffene Grundstückseigentümer diese Beeinträchtigung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abwehren, so kann er vom Eigentümer des Nachbargrundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen. Es handelt sich um einen verschuldensunabhängigen Anspruch.
Ausgeschlossen ist der Anspruch jedoch dann, wenn der Schaden auf höhere Gewalt zurückzuführen ist. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Baum aufgrund eines von niemanden zu beherrschenden Naturereignisses, wie beispielsweise einem Orkan, stürzt.
Das Landgericht Potsdam hat unserer Klage in seinem Urteil vom 19.08.2021, Az. 4 O 132/20, vollumfänglich stattgegeben. Es folgte hierbei der von uns vertretenen Auffassung. Zwar begründe nach Ansicht des Landgerichts allein das bloße Anpflanzen, Aufziehen oder Unterhalten von widerstandsfähigen Bäumen keine Gefahrenlage, die die Beklagte bereits als Störerin verantwortlich werden lässt. Die Verantwortlichkeit erwächst aber in der Sphäre der Beklagten, wenn ein zunächst nicht gefährlicher Zustand infolge von natürlichen Entwicklungen, wie beispielsweise durch Alterung oder Krankheit, zu einer Gefahr wird. Eine gesunde Kastanie mit einem gesunden Ast hätte einem stürmischen Wind mit der Stärke von 8 Bft. standgehalten. Der durch eine nicht außergewöhnliche Windstärke verursachte Schaden rechtfertige es daher, die auch unter Billigkeitsgesichtspunkten zu sehende analoge Anwendung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs greifen zu lassen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Thomas Litzenburger, Rechtsanwalt H&P Dresden
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