Heute möchte ich Ihnen das Urteil des BGH vom 30.11.2022, Az. IV ZR 143/21 vorstellen. In diesem geht es um die Frage, ob ein Schadensabwicklungsunternehmen nach § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG berechtigt ist, aktiv Ansprüche geltend zu machen.
Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde – stark gekürzt:
Die Klägerin ist das Schadensabwicklungsunternehmen eines Rechtsschutzversicherers. Der Versicherer gewährte dem Beklagten Deckung für ein Strafverfahren und zahlte entsprechende Vorschüsse. Nach dem Freispruch des Beklagten erstattete die Staatskasse diesem seine Auslagen, welche den von der Klägerin gezahlten Vorschuss überstieg. Die Klägerin forderte daher den Beklagten zur Weiterleitung in Höhe des gezahlten Vorschusses an ihn, hilfsweise an den eigentlichen Rechtsschutzversicherer auf.
Begründung:
Der BGH hält fest, dass sich die aktive Prozessführungsbefugnis nicht aus § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG ergibt.
§ 126 Abs. 2 Satz 1 VVG regelt explizit nur die passive Prozessführungsbefugnis. Materiell-rechtlich verpflichtet bleibt jedoch der Versicherer selbst. Ob eine analoge Anwendung in Betracht kommt, war umstritten. Teilweise wurde es für verschiedene Ansprüche angenommen. Die Gegenansicht lehnte jedoch eine analoge Anwendung generell ab.
Der BGH lehnte im vorliegenden Fall eine analoge Anwendung ebenfalls ab.
Für eine analoge Anwendung ist es erforderlich, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegt und der zu beurteilende Sachverhalt rechtlich gesehen mit dem geregelten Sachverhalt vergleichbar ist. Das ein solche planwidrige Regelungslücke gegeben ist, konnte das Gericht nicht feststellen.
Hintergrund der Regelung ist, dass das sog. Spartentrennungsverbot aufgehoben wurde. Das bedeutet, dass ein Versicherer Versicherungen aus unterschiedlichen Bereichen anbieten darf. Der § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG soll also eine Interessenkollision bei einem Kompositversicherer vermeiden. Dies ist zB dann gegeben, wenn der Rechtsschutzversicherer zugleich der Haftpflichtversicherer ist. Dann könnte der Versicherer ein der einen Sparte Informationen erhalten, die für den Versicherten in der anderen Sparte nachteilig sind. Zudem wäre der Rechtsschutzversicherer ggf. gezwungen den Deckungsschutz für einen Anspruch in einer anderen Versicherungssparte zu geben. Um diese Interessenkollision zu vermeiden, wurde die Einschaltung eines sog. Schadenabwicklungsunternehmens vorgesehen.
Aus der Gesetzbegründung geht nicht hervor, ob dieser Fall bedacht worden ist. Allerdings besteht nicht die gleiche Gefahr der Interessenkollision, so dass eine solche Regelung nicht erforderlich ist. Dies resultiert daraus, dass das Bestehen des Anspruches voraussetzt, dass der Versicherer den Vorschuss getragen hat und der Versicherte einen Anspruch gegen einen Dritten hat. Irrelevant ist, ob ein Anspruch auf die Versicherungsleistung überhaupt bestand. Es müssen also lediglich Tatsachen festgestellt werden. Damit besteht hier nicht die Gefahr, dass der Versicherer Kenntnisse erlangt, die er zum Nachteil des Versicherten in einer anderen Sparte verwenden kann.
Geprüft werden muss auch, ob die Regelung auf der Umsetzung von europarechtlichen Vorgaben beruht und ob der Gesetzgeber diese versehentlich nicht vollständig umgesetzt hat. Dies ist jedoch nicht der Fall, da der europäische Gesetzgeber 3 Möglichkeiten vorgeschlagen hat, wie einer Interessenkollision zu begegnen ist. Der deutsche Gesetzgeber hat eine dieser Möglichkeiten vollständig umgesetzt.
Zudem weist der BGH darauf hin, dass der Versicherer nach aufsichtsrechtlichen Regelungen verpflichtet ist, die Geltendmachung von Ansprüchen durch das Schadensabwicklungsunternehmen im Wege einer gewillkürten Prozessstandschaft, der Stellvertretung oder der Abtretung zu überlassen, sofern Informationen benötigt werden, die zur Interessenkollision führen können. Um nicht prüfen zu müssen, ob eine Interessenkollision droht, empfiehlt es sich, das Schadensabwicklungsunternehmen generell zu bevollmächtigen. Sodann liegt jedoch die Letztentscheidungsbefugnis beim Versicherer, wohingegen sie im Fall des § 126 Abs. 2 Satz 1 VVG beim Schadensabwicklungsunternehmen liegen würde.
Im Ergebnis ist eine planwidrige Regelungslücke nicht gegeben, so dass eine analoge Anwendung ausscheidet. Regelmäßig wird jedoch eine gewillkürte Prozessstandschaft, eine Stellvertretung oder eine Abtretung vorliegen, was vom Kläger darzustellen und ggf. zu beweisen und vom Gericht zu prüfen ist.
Der BGH hat den hier entschiedenen Sachverhalt zurückverwiesen, damit das Berufungsgericht prüfen kann, ob ein Fall der gewillkürten Prozessstandschaft vorliegt.
Anne Pehlke, Rechtsanwältin H&P Rechtsanwälte
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