In der Praxis zeigt sich hin und wieder, dass bei der Beratung rechtsschutzversicherter und nicht rechtsschutzversicherter Mandanten Unterschiede gemacht werden. Der BGH hat sich mit dieser Frage in seinem Urteil vom 16.09.2021, Az. IX ZR 165/19 ausführlich auseinandergesetzt. Grundlage war ein Schadensersatzanspruch gegen den Anwalt, welcher einen rechtsschutzversicherten Mandanten vertreten hat. Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf die Beratung keine Unterschiede gemacht werden dürfen. Der einzige Unterschied besteht in diesem Fall darin, dass der rechtsschutzversicherte Mandant auch risikoreichere Prozesse bzw. für ihn im Ergebnis auf Grund der Kosten des Verfahrens unwirtschaftlichere Prozesse führen kann.
Welche Pflichten hat demnach der Anwalt? Hierzu der BGH:
„Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Beratung des Auftraggebers verpflichtet. […] In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist.“
Im Hinblick auf die Risikoaufklärung ist die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung zu beachten und die Empfehlung hieran auszurichten, auch wenn der Anwalt diese für unzutreffend hält. Gibt es mehrere gangbare Wege und ist eine deutlich vorteilhafter, hat der Anwalt darauf hinzuweisen und seine Empfehlung hieran auszurichten. Ist eine Klage hingegen praktisch aussichtlos, hat der Anwalt dies klar herauszustellen und von einer Rechtsverfolgung abzuraten. Hierzu sagt der BGH:
Hierzu reicht es nicht, die mit der Erhebung einer Klage verbundenen Risiken zu benennen. Der Rechtsanwalt muss auch das ungefähre Ausmaß der Risiken abschätzen und dem Mandanten das Ergebnis mitteilen. Ist danach eine Klage praktisch aussichtslos, muss der Rechtsanwalt dies klar herausstellen. Er darf sich nicht mit dem Hinweis begnügen, die Erfolgsaussichten seien offen. Vielmehr kann der Rechtsanwalt nach den gegebenen Umständen gehalten sein, von der beabsichtigten Rechtsverfolgung ausdrücklich abzuraten.
Dies gilt jedoch nicht nur vor Einleitung der Rechtsverfolgung. Vielmehr hat der Anwalt die Pflicht, die Erfolgsaussichten in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen und den Mandanten auf etwaige Änderungen hinzuweisen. Hierzu sagt der BGH ausdrücklich:
Die Pflicht des Rechtsanwalts, den Mandanten über die Erfolgsaussichten eines in Aussicht genommenen Rechtsstreits aufzuklären, endet nicht mit dessen Einleitung. Verändert sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, muss der Rechtsanwalt seinen Mandanten über eine damit verbundene Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufklären.
Im Ergebnis muss der Mandant auf Grund der Beratung immer in der Lage sein, Chancen und Risiken selbst abzuwägen.
Es kursiert immer wieder das Gerücht, dass der Anwalt verpflichtet wäre, ein Mandat niederzulegen, wenn keine Erfolgsaussichten bestehen. Dem erteilt der BGH eine Absage und stellt klar, dass der Anwalt lediglich die Pflicht hat, den Mandanten über die Erfolgsaussichten zu beraten und ggf. von einer Verfolgung – dann jedoch ausdrücklich – abzuraten.
Doch was ist mit der Deckungszusage? Genügt es, wie immer wieder behauptet wird, dass diese nur mittels wahrer Tatsachen erlangt werden muss? Dazu sagt der BGH eindeutig NEIN. Im Konkreten:
Das Recht des Mandanten, nach entsprechender Beratung durch den Rechtsanwalt eigenverantwortlich über die Einleitung und Fortführung der Rechtsverfolgung zu entscheiden, wird durch eine bestehende Rechtsschutzversicherung nicht berührt. Ein Rechtsanwalt erfüllt daher seine Pflichten aus dem Mandatsverhältnis nicht dadurch, dass er ohne vorhergehende Beratung des Mandanten und dessen (eigenverantwortliche) Entscheidung eine Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers erwirkt. Dass die Deckungszusage mit vollständigen und wahrheitsgemäßen Informationen erlangt worden und der Rechtsschutzversicherer an die Zusage auch sonst gebunden ist, ändert daran nichts.
Der BGH stellt insoweit darauf ab, dass es sich bei dem Deckungsschutz um einen eigenständigen Wert im Vermögen des Versicherten handelt. Dieser entsteht mit Eintritt des bedingungsgemäßen Versicherungsfalles und wird lediglich durch die Erteilung der Deckungszusage verstärkt. Insoweit soll es allein dem rechtsschutzversicherten Mandanten obliegen, über den Einsatz dieses Deckungsanspruches nach – ordnungsgemäßer – Beratung zu entscheiden. Zudem weist der BGH darauf hin, dass nicht nur Vermögensinteressen des Mandanten betroffen sind. Ein Rechtsstreit erfordert auch Zeit und Aufmerksamkeit. Auch beeinflusst ein Prozess die Beziehung zum Prozessgegner. Insoweit benötigt auch der rechtsschutzversicherte Mandant eine Einschätzung über die Erfolgsaussichten und eine Beratung über die möglichen Vorgehensweisen.
Anne Pehlke, Rechtsanwältin H&P Rechtsanwälte
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